Ich berate recht häufig internationale Mandanten. Oft sind das Unternehmen aus dem Tech-Bereich, die eine Leistung nunmehr auch an den gehobenen deutschen Mittelstand vertreiben wollen. Erst letztlich war das ein Unternehmen, mit dessen Produkt sich eine Reihe von Kennzahlen im IT-Bereich sehr gut quantitativ erfassen lassen. Als Kunden sieht man Unternehmen, die ein IT- und Marketingbudget im Millionenbereich haben.
Nun ist der deutsche Mittelstand – zu Recht – konservativ. Meine Mandantin sah es daher aus Gründen der Verkaufsförderung als geboten an, nicht nur ihre Verträge in die deutsche Sprache zu übersetzen, sondern auch deutsches Recht und sogar deutsche Gerichtsstände zu vereinbaren.
Ich verstehe das gut. Der Mittelstand sitzt nicht in München, sondern in der Provinz, und die CEO hat nicht in St. Gallen studiert und einen MBA aus London, sondern ist die Enkelin des Gründers. Und so ist das auch gut, denn im Zusammenfallen von Eigentum und Führungsverantwortung funktioniert das System. Aber das hat eben auch etwas erdiges, heimatiges – da kommt kalifornisches Recht einfach nicht gut an.
Schon im Beratungsgespräch, spätestens aber bei der Durchsicht des ersten Entwurfs, kommt es dann oft zum Augenreiben: der neue, deutsche Vertrag ist meist keineswegs „nur“ eine Übersetzung und sanfte Anpassung des ansonsten inhaltsgleichen Ur-Vertrages, sondern gewissermaßen eine Neufassung. Gerade bei der Verteilung der Risiken, also Haftung, Freizeichnungen, Vertragsstrafen etc., bleibt kein Stein auf dem anderen.
Der Grund dafür liegt im deutschen Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).
AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (der Verwender) der anderen Vertragspartei (dem Vertragspartner) bei Abschluss eines Vertrages stellt, § 305 BGB. Unter diese Definition fällt das „Kleingedruckte“ im Handyvertrag zwischen Vodafone und Frau Müller (82 Jahre alt, Rentnerin) ebenso wie der vorformulierte Software-as-a-Service-Vertrag, den ein entsprechender Provider seinen Geschäftskunden (anwaltlich beraten, laut Businessplan 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2023) anbietet.
AGB unterliegen nach deutschem Recht einer sogenannten Inhaltskontrolle. Die entsprechenden Verträge müssen bestimmte Anforderungen an Klarheit und Transparenz einhalten, § 307 I BGB, vor allem aber dürfen AGB den Vertragspartner nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligen. Wann genau eine solche unangemessene Benachteiligung vorliegt spezifizieren die §§ 308 und 309 BGB für den Fall, dass die AGB von einem Unternehmen gegenüber einem Verbraucher verwendet werden. Das Gesetz statuiert hier eine Reihe von immer verbotenen Klauseln („ohne Wertungsmöglichkeit“, § 309 BGB) und nur in bestimmten Gestaltungen zulässigen Klauseln („mit Wertungsmöglichkeit“, § 308 BGB). Verboten ist etwa die Bestimmung einer Vertragsstrafe für die verspätete Abnahme einer Leistung (§ 309 Nr. 6 BGB) oder die Veränderungen von Regelungen zur Beweislast (§ 309 Nr. 12 BGB).
Das sind absolut vernünftige Regelungen. Der Verbraucher tritt großen Konzernen mit ihren Rechtsabteilungen gegenüber, ohne Verhandlungsmacht, ohne die Möglichkeit, die AGB zu verstehen, und meist auch, ohne sie auch nur zu lesen oder – wegen der Länge – lesen zu können. Wie Eddy Izzard zu den iTunes-AGB bemerkte: „not even God has read the terms and conditions”. Er (der Verbraucher, nicht Gott) verdient daher Schutz, und zwar nicht verhandelbaren.
Nun endet es dabei aber nicht. Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass auch AGB, die im unternehmerischen Rechtsverkehr verwendet werden, einer Inhaltskontrolle unterliegen. Diese richtet sich streng genommen nicht nach den §§ 308, 309 BGB (siehe § 310 I 1 BGB), sondern „nur“ nach § 307 BGB. Die AGB-rechtliche Rechtsprechung führt aber oft durch die Hintertür auch im unternehmerischen Verkehr dann doch wieder die Wertungen der §§ 308, 309 BGB ein, weil diese eben das gesetzliche Leitbild konkretisieren, und nach § 307 II Nr. 1 BGB soll vom gesetzlichen Grundgedanken ja nicht allzuweit abgewichen werden.
In besonderem Maße (aber nicht nur) gilt das bekanntermaßen für Regelungen zu Voraussetzungen, Umfang und Höhe der Haftung eines Vertragspartners. Die kann nach deutschem AGB-Recht nämlich für die Verletzung von wesentlichen Vertragspflichten allenfalls auf den vorhersehbaren, vertragstypischen Schaden begrenzt werden. Vorhersehbar ist aber vieles und die Formel schafft damit vor allem eines: Rechtsunsicherheit. Unternehmen wollen aber oft eine klare Summe, die dann auch steht. Und zwar beide Seiten, denn im Zweifel bekommt man im Gegenzug als Nutzer dann auch einen vernünftigen Preis.
Die sehr strenge Handhabung der AGB-rechtlichen Regelungen durch deutsche Gerichte führt dazu, dass auch Großkonzerne mit spezialisierten, hochbezahlten Rechtsabteilungen, die von noch höher bezahlten Edelkanzleien beraten werden, nicht in der Lage sind, in AGB etwa ein sinnvolles Haftungsmanagement zu betreiben: das nächste Landgericht macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.
Im Rahmen eines Forschungsprojektes für das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz („AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen“, Abschlussbericht vom 30. September 2014) schreiben Prof. Dr. Lars Leuschner und Dr. Frederik Meyer dazu (S. 288):
„Die Analyse der Freizeichnungsmöglichkeiten auf Grundlage der §§ 307 ff. BGB hat ergeben, dass es im unternehmerischen Rechtsverkehr letztlich nicht möglich ist, in AGB die Haftung wirkungsvoll zu begrenzen. Grund hierfür ist insbesondere die Rechtsprechung des BGH, wonach die Haftung für die Verletzung von wesentlichen Vertragspflichten allenfalls auf den vorhersehbaren, vertragstypischen Schaden begrenzt werden kann (Vorhersehbarkeitsformel). Vor allem das im unternehmerischen Rechtsverkehr verbreitete Bedürfnis, Risiken durch Haftungsbeschränkungen kalkulierbar zu machen, lässt sich auf dieser Grundlage nicht befriedigen.“
Wenn man das bemängelt, wird oft entgegengehalten, dass die betreffende Klausel ja im Detail verhandelt werden könne, dann handele es sich ja auch nicht mehr um AGB. Das stimmt, § 305 I BGB: wenn man verhandelt, dann „stellt“ man die Bedingung nicht mehr.
Nur hilft das oft nicht. Denn manchmal ist Verhandeln nicht möglich oder es stehen einer Verhandlung schlicht Usancen der Branche entgegen, die niemand aufschnüren möchte. Noch „schlimmer“ ist der Fall, dass eine Klausel bewusst nicht verhandelt wird, gerade um möglicherweise eine Inhaltskontrolle durch ein Gericht und damit die Unwirksamkeit einer Haftungsklausel zu provozieren. Da klingt schlitzohrig, hebelt aber in der Praxis schlicht und ergreifend das fein austarierte Haftungs- und Risikomanagement ganzer Branchen aus.
Im Ergebnis weiß dann keine der beteiligten Seiten, ob, was immer man da vereinbart hat, vor Gericht Bestand hat. Eine unhaltbare Situation.
Hierzu sagt der Bericht (S. 288):
„Die äußerst rigide Inhaltskontrolle von Haftungsbeschränkungen erweist sich darüber hinaus noch unter einem zweiten Gesichtspunkt als sehr problematisch. Im Zusammenspiel mit den von der Rechtsprechung aufgestellten sehr strengen Anforderungen an das Vorliegen einer Individualvereinbarung (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB) führt sie dazu, dass im Rahmen großvolumiger Verträge (z.B. Anlagenbau), die von den Parteien auf Grundlage internationaler Branchenstandards und meist unter erheblichem Einsatz juristischer Expertise vereinbarte Risikoallokation einem massiven Unwirksamkeitsrisiko unterliegt.“
Auch eine Rechtsordnung muss konkurrenzfähig sein. Das deutsche Recht steht aber im internationalen Vergleich eher auf einer Stufe mit dem deutschen Internet, BER oder Elektroautos von Porsche. Ich persönlich rate Mandanten ab und an, doch einfach Schweizer Recht zu vereinbaren. Damit schneide ich mich wirtschaftlich ins eigene Fleisch, weil ich in der Beratung dann natürlich eingeschränkt bin, aber ich bin eben auch gehalten, den sichersten Weg zu empfehlen, der zum von der Mandantschaft gewollten Ziel führt. Was soll ich also tun.
Prof. Leuschner schreibt hierzu, etwas weniger scharf formuliert, aber in der Sache wohl ähnlich denkend (S. 288, 289):
„Auch in diesem Punkt nimmt das deutsche Recht international eine Sonderrolle ein. Vor dem Hintergrund, dass entsprechende Vertragsschlüsse häufig grenzüberschreitend erfolgen und das deutsche Recht somit in Konkurrenz zu anderen Rechtsordnungen steht, ist nicht ausgeschlossen, dass diese Sonderrolle dem Rechtsstandort Deutschland langfristig nicht unerheblich schadet.“
Der Mann hat Recht. Ich meine, dass es für die viertgrößte Weltwirtschaft kein gutes Zeichen ist, wenn selbst deutsche Anwälte dazu raten, sie besser zu meiden.