
Der von Juristen vermutlich am wenigsten geliebte Vertragstyp ist das Service Level Agreement, kurz: SLA. Der Grund für die mangelnde Zuneigung dürfte sein, dass das SLA, jedenfalls auf den ersten Blick, nicht wirklich nach juristischer Fingerfertigkeit zu rufen scheint, sondern nach reiner Leistungsbeschreibung aussieht. Es klingt damit eher nach einem Dokument, das in die Hand der Fachabteilung gehört. Dass Service Level Agreements vor allem im komplexen IT-Bereich vorkommen, vertieft die Abneigung noch zusätzlich.
Zu kurz gesprungen, wie ich meine.
Was genau ist das denn, dieses SLA?
Wenn Sie sich die Mühe machen, das allseits beliebte BGB – oder ein beliebiges anderes Gesetz – nach dem Begriff „Service Level Agreement“ zu durchsuchen, dann werden Sie dort nicht fündig werden. Allerdings werden Sie vermutlich auf den Begriff „Dienstvertrag“ stoßen, der verdächtig an das Wort „Service“ erinnert. Und ganz falsch ist das nicht: ein Aspekt eines SLA ist es typischerweise, zu definieren, was für eine Leistung denn nun genau unter einem Dienstvertrag geschuldet ist und in welcher Qualität die Leistung erwartet werden darf.
Aber SLAs finden sich nicht nur im Dienstvertrag. Der Begriff „Service“ im „Service Level Agreement” darf weit verstanden werden: das kann auch Werk- oder Mietleistungen betreffen und sogar kaufvertragliche Bestandteile erfassen. Das SLA transzendiert damit die Vertragstypologie des BGB. Das ist auch gut so, denn gerade IT-Verträge lassen sich oft nur mit Mühe in dieses gesetzliche Schema einordnen.
Richtig und wichtig unter diesem Gesichtspunkt ist ein SLA aus zwei Gründen
Wenig, wenig sagt das BGB zum Leistungsinhalt
Zunächst stellt das Gesetz nur sehr unzureichende Regelungen dazu bereit, was denn eigentlich genau als Leistung geschuldet ist. Es sagt nämlich in § 243 BGB nur, dass eine Leistung „mittlerer Art und Güte“ geschuldet ist. Mithin sagt es praktisch nichts.
Das ist aber auch nicht verwunderlich: das Gesetz kann nicht wissen, was die Parteien als Leistung wünschen, § 243 BGB ist nur das Notfall-Auffangnetz. Fälle wie die zu klein geratene Grillwurst („Die ist aber nicht mittelgroß!“) mag es regeln, für die moderne und komplexe Welt der IT-Leistungen genügt der Maßstab nicht. Was „mittlerer Art und Güte“ ist, wird sich hier kaum je bestimmen lassen. Und selbst da, wo es Industrie- und Leistungsstandards gibt, ist gar nicht klar, ob der Kunde diese haben will.
Dazu kommt zuletzt, dass gerade beim Dienstvertrag ja gar keine „Sache“ geschuldet ist, sondern eben die Erbringung von Dienstleistungen. „Mittlere Art und Güte“ gibt hier nicht einmal im Ansatz einen Maßstab.
Die Rechtsfolgen des Gesetzes passen nicht
Das Gesetz gibt bei Vertragsverletzungen im Leistungsbereich teils klare Rechtsfolgen vor, teils praktisch keine, fast immer aber für komplexe Verträge unpassende.
Kauf-, Werk- und Mietvertrag sehen Rechtsfolgen wie Mangelbeseitigung oder Minderung vor. Voraussetzung dafür ist aber das Vorliegen eines Mangels – und der liegt entweder vor oder eben nicht. Ein SLA kann den Mangelbegriff gewissermaßen entzerren und einen Leistungsbereich definieren, in dem eben „noch“ kein Mangel vorliegt, aber „schon“ weniger gezahlt werden muss, weil die Leistung unter einen festgelegte Schwellwert sinkt.
Mithin kann ein Service Level Agreement sehr granular Bonus-Malus-Regelungen festlegen, die das Gesetz schlicht nicht vorsieht und damit Leistungen sachgerecht bepreisen.
Zugabe: Ein wenig Verhandlungspsychologie
Wenn man den Gedanken der Bonus-Malus-Regelung zu Ende denkt, stellt man fest, dass es sich, wenn man im Malus-Bereich endet, in der Sache um eine Vertragsstrafe handelt. Wer schon einmal versucht hat, eine Vertragsstrafeklausel in einem Vertrag zu verhandeln, der weiß: „SLA“ klingt einfach besser.
Wo kommen SLAs vor?
Typische Bereiche, in denen SLA mehr oder weniger als Standard benötigt werden, sind:
- Web Hosting,
- Cloud Computing,
- Software as a Service (SaaS),
- Managed IT Services oder
- Telekommunikationsleistungen.
Es spricht aber auch nichts dagegen, ein SLA auch in ganz anderen Verträgen zu vereinbaren. Warum nicht in einem Hausmeisters-Servicevertrag die Reaktionszeiten festschreiben?
Was regelt ein SLA typischerweise?
Jedes Service Level Agreement ist anders. Es haben sich in der Praxis aber doch einige Standards herausgebildet.
Verfügbarkeit und deren Berechnung
Der Kern praktisch jedes SLAs ist die Darstellung der Verfügbarkeit eines Systems oder einer Dienstleistung.
Sehr oft wird dies in Prozentwerten angegeben. Hier ist darauf zu achten, auf welchen Zeitraum sich diese Angabe bezieht: ist ein Service zu 99,5% berechnet auf ein Jahr verfügbar, so kann er immer noch fast zwei Tage gestört sein und bleibt dennoch vertragsgemäß.
Übergabepunkt und Ende der Verantwortung
Wichtig ist dabei auch anzugeben, wo genau – an welchem Übergabepunkt – die entsprechende Leistung bereitstehen muss. Etwa bei einem SaaS-Service kann es ein Unterschied sein, ob die Verfügbarkeit am Übergabepunkt vom Rechenzentrum des Providers ins Internet geschuldet wird, oder gemessen beim Kunden.
Prüfung der Service Levels und Protokollierung
Die Vereinbarung von Service Leveln und Übergabepunkten ist gut und schön – aber geregelt werden muss auch, wer die Leistungserfüllung wo und in welcher Weise misst und erfasst und wie die andere Partei Zugriff auf diese Daten erhält oder in welcher Weise der Provider dem Kunden Bericht erstattet.
Ausgeschlossene Vorfälle
In aller Regel will derjenige, der einen Service bereitstellt, im SLA zwar für seine eigene Leistungsfähigkeit einstehen, nicht aber Garantien für Ausfälle übernehmen, die außerhalb seines Einflussbereiches liegen. Daher ist zentraler Bestandteil eines SLA oft auch der Ausschluss von Vorfällen, also eine Definition solcher Ereignisse, für die der Provider nicht geradestehen will.
In der Sache liest sich das dann häufig wie eine typische Höhere Gewalt / Force Majeure-Regelung.
Wartungsarbeiten
Typischerweise werden Wartungsarbeiten von der Berechnung der Ausfallzeiten ausgenommen. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass nun einfach jeder Ausfall nachträglich als Wartungszeit deklariert wird. Es gilt hier also Regeln zu finden, in welcher Weise und mit welcher Vorlaufzeit Wartungszeigen angekündigt werden und ob während der Arbeiten Workarounds oder Ausweichsysteme zur Verfügung gestellt werden.
Reaktionszeiten
Ist ein IT-System nicht verfügbar, muss der Provider reagieren. Wie schnell und in welcher Weise, sollte geregelt werden. Meist wird es dabei nicht möglich sein, festzulegen, wie schnell eine Störung oder Leistungsunterbrechung beseitigt werden muss: das kann in vielen Fällen vorab niemand sagen. Zumindest die maximale Zeitspanne zwischen der Meldung einer Störung (etwa durch Einreichung eines Tickets) und dem Beginn der Tätigkeiten des Providers gehört aber in das SLA.
Bepreisung und Rechtsfolgen
Zuletzt muss natürlich geregelt werden, welche Folgen die Erreichung oder eben Nichterreichung bestimmter Service Levels hat. Das kann von den oben bereits kurz diskutierten
- Bonus-Malus-Regelungen über
- reine Minderungsregeln bis hin zum
- pauschalierten Schadensersatz oder auch der
- Vereinbarung von Kündigungsmöglichkeiten
gehen.
Fazit: SLA als Teamsport
Es zeigt sich, dass in Service Level Agreements viele technische Regelungen getroffen werden, aber auch viele im engeren Sinn juristische Punkte vernünftig vereinbart werden müssen. Mehr noch als bei anderen Verträgen ist die Erstellung eines SLA daher ein Teamsport. Die IT-Abteilung kann das nicht allein stemmen. Gleichzeitig bringt es aber auch wenig, die Hausjuristen oder externe Berater zu beauftragen, ein SLA zu draften, ohne dass diese Zugriff auf die technischen Einzelheiten haben.