Danke, Windscheid!

Viele Laien meinen ja, dass Juristen sämtliche Gesetze auswendig dahersagen könnten. Natürlich ist dem nicht so: Meist hat der Anwalt nur eine grobe Idee davon, wo etwas zum Thema steht. Und das ist in Ordnung, denn im Gesetz kann man ja immer nachlesen.

Man muss das dann aber auch tun. Denn oftmals meint man, da stünde etwas, was dann bei genauer Betrachtung gar nicht da steht.

Mir widerfuhr es vor ein paar Tagen, dass eine Mandantin ganz kurz vor einem wichtigen Vertragsabschluss war. Und weil aus einer ganzen Reihe von Gründen extrem enge Deadlines im Raum standen, musste alles furchtbar schnell gehen. Schnell ist leider häufig das Gegenteil von gut oder gründlich und bekanntermaßen passieren Fehler immer dann, wenn man sie am allerwenigsten gebrauchen kann.

Eines der Probleme war, dass eine der Vertragsparteien, weil es ja, ich schrieb das, schnell gehen musste, so frisch gegründet war, dass es an Zahlungsinfrastruktur mangelte – man hatte schlicht noch kein Konto. Ohne Konto zahlt es sich aber schlecht, vor allem, wenn das Geld innerhalb von zwei Tagen bei der anderen Vertragspartei sein muss.

Das ist eine Stelle, an der die Parteien eine wirtschaftliche Lösung finden müssen und der Anwalt diese Lösung dann idealerweise geräuschlos umsetzt.

Die wirtschaftliche Lösung

Die Idee der Parteien: einer der Gesellschafter der Partei, die die Zahlung erhalten soll, zahlt anstelle der Schuldnerin und bekommt das Geld dann wieder, sobald die Schuldnerin zu Zahlungen technisch in der Lage ist. Bis dahin wird er vom Hauptgesellschafter der Schuldnerin per Bürgschaft gesichert.

Ob Sie das nun für sinnvoll halten oder nicht: so sollte es sein und so musste es rechtlich umgesetzt werden. Und zwar kurzfristig. Es war später Abend und die Parteien wollten die Verträge noch in derselben Nacht lesen und unterzeichnen. Da macht man als Anwalt also nur das, was absolut notwendig ist.

Bei einer Bürgschaft ist das nicht schwer, die hat man in der Mustersammlung oder im Formularbuch, passt ein paar wenige Dinge an (Verzicht auf Einreden etc – wir wollen ja eine Bürgschaft auf erstes Anfordern), fügt Daten und Parteien ein, und im Wesentlichen war es dann auch schon. Es ist aber darauf zu achten, dass die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung sehr genau bezeichnet wird, denn wegen des akzessorischen Charakters der Bürgschaft kommt man, wenn es hier Unklarheiten gibt, in tiefes Wasser.

Und da sind wir beim zweiten Teil des Vorhabens: der Zahlung eines Gesellschafters der Gläubigerin auf eine offene Forderung an die Schuldnerin: eine Zahlung, die er irgendwann von der Schuldnerin ersetzt bekommen möchte. Das kommt – so – nicht jeden Tag vor. Angeblich soll es die Fälle häufiger im Mietrecht geben (Sugardaddys?), aber davon habe ich nun wirklich keine Ahnung.

Leistung durch Dritte

Der Jurist, der beim Schuldrecht AT (Allgemeiner Teil) aufgepasst hat, erinnert sich daran, dass es da eine Vorschrift gab. Wer sogar gut aufgepasst hat, der erinnert sich sogar an die Hausnummer: § 267 BGB. Bis dahin kam ich. Und ich hätte bei peinlicher Befragung schwören können, dass da ungefähr Folgendes steht:

Leistet ein Dritter auf eine fremde Schuld, so ist das total okay und lässt die Forderung insoweit erlöschen. Der Schuldner kann sich nicht wehren, wo kämen wir da auch hin. Und übrigens: der, der da leistet, hat gegen den, der hätte leisten müssen, einen Rückgriffsanspruch.

Das wäre gut gewesen, denn dann hätte das Gesetz meine Arbeit gemacht. Der Zahlende könnte qua Gesetz Rückgriff nehmen und ich könnte das Laptop zuklappen. Nur steht’s nicht da. Tatsächlich liest sich § 267 BGB wie folgt:

(1) Hat der Schuldner nicht in Person zu leisten, so kann auch ein Dritter die Leistung bewirken. Die Einwilligung des Schuldners ist nicht erforderlich.

(2) Der Gläubiger kann die Leistung ablehnen, wenn der Schuldner widerspricht.

Von Rückgriff steht da nichts. Verrückt!

Ein Vertrag muss her

Schlimmer noch: die Kommentierung zu § 267 BGB sagt, dass der Rückgriff im Rahmen einer Rechtsbeziehung möglich ist, wie etwa Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag (GOA) oder Gesellschaft. Und wenn es an einer solchen Beziehung fehlt, dann kommt nur ein Ausgleich unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht. Das aber will keiner, womöglich entreichert sich dann noch jemand, also muss die Rechtsbeziehung her. Die ist hier sicher keine Geschäftsführung ohne Auftrag, weil ja alle Parteien wissen und wollen, dass so verfahren wird. Eine Gesellschaft liegt aber natürlich auch nicht vor.

Also Auftrag. Oder auch nicht, denn klingt der Zahlungsdienstevertrag nach § 675f BGB nicht auch vielversprechend? Oder gilt der nur für Banken und Finanzdienstleister? Muss ich da nachforschen?

Egal: es muss ohnehin ein Vertrag her, denn dem Gesetz überlassen wir hier nichts, schon gar nicht dem dunkel formulierten § 670 BGB. Oder dem kompliziert klingenden § 675f BGB. Ähnlich verfahren wir so ja auch mit allen anderen Verträgen: wenn man ein Auto kauft, dann vertraut man auch nicht auf die §§ 433 ff BGB sondern nutzt einen Formularvertrag aus dem Schreibwarenhandel für 3,50 Euro.

Hier kommt jetzt übrigens keine Pointe. Der Vertrag, der aus diesen Überlegungen folgte, regelt das absolute Minimum (wer zahlt an wen auf welche Schuld, wer ersetzt das und bis wann) und passt auf eine Seite. Aber auch die muss eben erstellt werden. Nachts. Wenn man schon müde ist. Und das alles nur, weil der Gesetzgeber es versäumt hat, einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch in § 267 BGB zu schreiben.

Danke, Windscheid!

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